Hintergrundwissen

Der Whisky-Hype

Die letzten Rauchschwaden schweben über dem Schlachtfeld. Ein paar Angeschossene schreien um Hilfe. Von den Schwerverletzten hört man nur noch ein leises Wimmern. Die Schlacht ist geschlagen. Die Verlierer lecken sich die Wunden und die wenigen, strahlenden Gewinner lassen es sich nicht nehmen, laut jubilierend durch die virtuellen Straßen zu ziehen.

Der Whisky-Hype ist auf seinem Höhepunkt.

Oft werde ich gefragt, was ich vom aktuellen Whisky-Hype denke. Ob ich mal etwas dazu sagen kann. Nun gut, so soll es sein. Lassen Sie mich etwas über den aktuellen Whisky-Hype philosophieren. Erwarten Sie bitte dabei nicht, dass ich besonders positiv werde. Doch… ganz am Schluss gibt es einen positiven Ausblick.

Vor mehr als zehn Jahren schrieb ich auf unserer Homepage einen Artikel, der sich an Whiskysammler richtet. In ihm sagte ich einige denkwürdige Sätze: „Man solle immer drei Flaschen eines besonderen Whiskys erwerben. Eine zum Probieren, eine zum Sammeln und eine zum späteren Tauschen.“ Um diesen Satz zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass es zwei verschiedene Arten von Whiskysammlern gibt. Einmal ist da der Genusssammler. Jede Flasche die er kauft, ist auch zum späteren Verzehr gedacht. Demgegenüber steht der wertorientierte Sammler, der seine Flaschen erwirbt, um sie später zu einem besseren Preis zu verkaufen und so eine fette Rendite zu machen.

Beide Sammlertypen können sich nicht wirklich leiden. Weil sie um die selbe Ware konkurrieren. Und so war auch meine Aussage vor 10 Jahren gedacht. Die extra erworbene, dritte Flasche sollte zu einem deutlich gestiegenen Preis später verkauft werden. So kann man vom höheren Erlös drei weitere Flaschen erwerben, mit denen man erneut seinen geschmacklichen Kenntnisstand und seine Sammlung erweitern und für zukünftige Verkaufserlöse vorsorgen kann. Im Idealfall liefen diese Systeme in der Vergangenheit ganz ohne zusätzlich nachzuschießendes, frisches Geld. Die Preissteigerungen der seltenen Flaschen finanzierten das eigene Hobby genauso wie den eigenen Genuss.

Geniale Systeme bleiben über die Jahre nicht unentdeckt. Und so verstärkte sich die Nachfrage nach den üblichen verdächtigen Flaschen ganz stetig von Jahr zu Jahr.

Auch den Whiskykonzernen blieb diese Entwicklung nicht verborgen. Je wilder die Sammler wurden, um so heftiger fragten die Händler nach zusätzlichen Flaschen bei der Belieferung. Und so dauerte es nur ein Jahrzehnt, bis endlich auch die Konzerne das volle Potenzial der Sonderflaschen realisierten. Im Anschluss kam es dann zu einer fatalen Fehlentwicklung.

Für Marketingspezialisten gibt es kein höheres Ziel, als den Bekanntheitsgrad einer Marke zu erhöhen. Marketing ist auf der einen Seite sehr teuer und auf der anderen Seite schwer zu bewerten. Wer kann schon sagen, wie viel Wert eine Marketingkampagne hat? Hier muss deutlich zwischen Vertrieb und Marketing unterschieden werden. Eine erfolgreiche Vertriebsanstrengung lässt sich in wachsendem Abverkauf und Umsatz bewerten. Marketing ist da weicher. In der Regel misst man den Bekanntheitsgrad eines Markennamens. Und wenn man bei Konsumentenbefragungen um einen Prozentpunkt mehr Bekanntheitsgrad erreicht, dann kann man sich das schon ein paar Millionen kosten lassen.

Wenn sich nun die Whiskysammler lautstark auf die Suche nach den Sammlerflaschen machen, dann ist der Name der betroffenen Brennerei in aller Munde. In den sozialen Medien wird entsprechend über die geschlagenen Schlachten lautstark berichtet. Der Name der Brennerei ist in aller Munde. Und die Marketer der Konzerne freuen sich. Ohne einen Euro an Geld zusätzlich ausgegeben zu haben, hat sich der Bekanntheitsgrad der Marke erhöht. So weit, so gut.

Je größer die Nachfrage nach den Flaschen wird, um so größer wird der Schlachtenlärm. Zuerst hört man die Schläge der Trommler; dann sieht man die ersten Kundschafter und in der Ferne hört man das Klirren der Waffen immer lauter, je schneller die Krieger laufen. Für den Marketer ist das Musik in seinen Ohren. Ohne wirklich mehr zu tun als im Jahr zuvor, steigt der Bekanntheitsgrad der Marke immer weiter an. Es ist ein sich selbst verstärkender Vorgang. Jeder beginnt zu rennen, um von der leichten Beute noch einen Bissen abzubekommen.

Wir im The Whisky Store haben als erstes unter dieser Verstärkung des Effekts zu leiden gehabt. Die Kundschafter erreichen unsere Mauern immer als erstes und beginnen sie sturmreif zu schießen. In einer Tour klingelt das Telefon und jeder will wissen, wann die begehrten Flaschen nun endlich eintreffen. Dabei ist das Verhältnis von Anrufern zu verfügbaren Flaschen denkbar ungünstig. Bei besonders seltenen Flaschen erhalten wir meist nur wenige Dutzend Exemplare. Gleichzeitig haben wir jedoch mehrere Hundert Anrufe in wenigen Tagen zu stemmen. In Folge ist das Telefon immer öfter belegt – reguläre Besteller kommen nicht mehr durch – und verkaufen tun wir trotz dieses Getöses keine Flasche mehr. Denn hier geht es nicht um eine tolle Flasche, die man bei einer regulären Bestellung einfach mit kauft. Es geht um eine Rarität, bei der kein Versuch ausgelassen wird, um an unseren Burgwächter(innen) vielleicht doch vorbei zu kommen.

Dann treffen schließlich die Flaschen bei uns ein und binnen weniger Stunden lassen sich alle Flaschen verkaufen. Dabei werden wieder alle Tricks des verdeckten Stellungskampfes ausprobiert, um an eine oder vielleicht sogar mehr als eine Flasche heran zu kommen. Trotz der expliziten Angabe, dass nur eine Flasche pro Kunde bestellt werden soll, werden hier fleißig größere Anzahlen eingegeben und sogar Oma und Tante als weitere Besteller missbraucht. Uns macht die Korrektur dieser fehlerhaften Bestellungen richtig Arbeit und stellt die Geduld und Toleranz unserer Burgwächter(innen) auf eine große Probe. Wie heißt es so schön: „Gier frisst Hirn!“ Wie einfältig kann man sein, dass man nicht glaubt, dass solche Mehrfacheingaben unbemerkt bleiben? Und was für Konsequenzen wird dieses inkompatible Verhalten hervorrufen?

Auch müssen wir entscheiden, wie viele der wenigen, verfügbaren Flaschen wir an altgediente Stammkunden und wie viele an Neukunden abgeben sollen. Warum kommt ein Neukunde gerade jetzt auf uns zu, wo es diese tolle Flasche zu kaufen gibt? Wo hat er bislang gekauft? Wie heißt es so schön: „Der Neukunde ist der Stammkunde der Konkurrenz!“ Wird er, wenn wir ihm die Flasche liefern, ab sofort immer bei uns kaufen? Man darf ja mal träumen ;-) Die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch dafür, dass er seine Bestellung bei allen verfügbaren Händlern im Netz aufgegeben hat und auf den Zufall wartet. Nein! Man muss seine Stammkunden bevorzugen, da sie für unser regelmäßiges Einkommen sorgen. Dennoch legen wir auch immer ein kleineres Kontingent für Neukunden zur Seite. Vielleicht wird der eine oder andere in Zukunft doch noch zu unserem Stammkunden.

Sie sehen, mit diesen Flaschen kommt ein Riesenbatzen an Arbeit auf uns zu. Bei absoluten Hypeflaschen haben wir bis zu 50 Anrufe pro zugeteilter Flasche in der Vergangenheit registriert. Kein Anruf dauert dabei weniger als 2 Minuten. Bei einem Kostensatz von 50ct pro Mitarbeiterminute müssen so pro verkaufter Sammlerflasche 50 Euro Mehrerlös erzielt werden. Wenn eine Flasche dann vom Hersteller mit 80 Euro unverbindlichem Verkaufspreis angegeben ist, ist dies ein unmögliches Unterfangen. Der Verlust ist bei uns bei diesen Flaschen vorprogrammiert. Sind wir gut auf diese Hypeflaschen zu sprechen? Die Antwort ist ein glattes Nein. Der Vorteil liegt ganz auf der Seite der Konzerne. Dennoch können wir auf den Verkauf dieser Flaschen nicht verzichten. Unsere Kunden warten auf sie.

Und die Kunden? Sind sie zufrieden? Nein, statistisch nicht. Die anfänglich prosaisch skizzierte Schlachtenszene beschreibt das Gefühl unserer Kunden. Wenn auf eine verfügbare Flasche über 100 leer ausgehende Kunden kommen (die wenigsten rufen an), dann breitet sich ein Groll unter den Whiskygenießern aus. Der Tenor ist dabei ganz klar: „Wie kann man uns den Mund wässrig machen und uns dann die Flaschen vorenthalten?“ Und vor allem sind die Interessenten für diese Flaschen in der Regel die größten Fans der Brennerei. Meist hat man auch schon eine schöne Sammlung an Flaschen dieser Brennerei in seinem Wohnzimmer stehen und ist nun mächtig enttäuscht, dass man keine Flasche mehr bekommt. Denn die Chancen stehen in der Regel 1:10 und aktuell meist nur noch 1:100.

Irgendwann dreht sich das Blatt und der ehemalige, stolze Verfechter der Brennerei wird zum erbitterten Gegner. Eine Flasche kann man mal verpassen. Das ist Schicksal. Wenn man aber nach dem dritten oder vierten Mal keine Flasche mehr abbekommen hat, ist spätestens Schluss mit lustig.

Und nun geht der Schuss für die Konzerne nach hinten los. Das Marketing berichtet stolz von einem steigenden Bekanntheitsgrad und trotzdem beginnen die Verkaufszahlen zu stagnieren. Für den langfristigen Erfolg einer Marke kommt es nämlich nicht auf dieses kurzfristige Strohfeuer an. Man muss auch ganz banal soliden Whisky mit echtem Mehrwert liefern können. Jährliche, homöopathische Dosen an Hypeflaschen bei weniger als einer handvoll ständig verfügbarer Flaschen ohne größere Altersangaben kann eine Marke nicht retten. Die Marke ist zwar bekannt und jedes Jahr gibt es ein großes Getöse. Doch die Kunden kaufen nicht. Die Flaschen, die sie haben möchten bekommen sie nicht und die die es gibt kaufen sie nicht, weil sie sie im besten Fall schon reichlich kennen. Anspruch und Wirklichkeit der Marke beginnen mehr und mehr auseinander zu klaffen.

Am Ende gibt es in so einer Whisky-Hype nur Verlierer. Der Hersteller kommt trotz hoher Kosten für die kleinauflagigen Hypeflaschen nicht weiter. The Whisky Store hat hohe Kosten, die kaum zu decken sind und der Kunde ist frustriert, weil man ihm die Wurst so hoch hängt, dass sich ein Springen danach nicht mehr lohnt.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch ein paar abschließende Gedanken. Konzerne sind dazu angetreten, Gewinn zu machen. Daran ist nicht Schlechtes. Diese Gewinne werden statistisch nur zur Hälfe an den Aktionär ausgeschüttet, der damit vielleicht seine Altersvorsorge aufgebaut hat. Die andere Hälfte der Gewinne wird reinvestiert, um das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen, damit die Gewinne auch zukünftig weiter sprudeln und die Arbeitsplätze sicher sind. Soweit die Theorie. Im Fall von Whiskybrennereien sollten die Gewinne jedoch nicht in Kleinauflagen gesteckt werden, bei denen die Kosten pro Flasche besonders hoch sind. Schließlich werden mitunter eigene Homepages kostenintensiv erstellt und internationale Internet-Shops parallel zum regulären Handel reichlich dilettantisch betrieben. Jährlich werden so für eine einzelne Brennerei mehrere Millionen an Marketinggeldern verschwendet. Anteile von 10 bis 20 Euro pro Flasche kommen dabei regelmäßig zusammen.

Für diese Marketingmillionen ließen sich die Brennereien, die immer mehr jungen Whisky ohne Altersangaben abfüllen müssen, sehr einfach erweitern. Eine Verdopplung der Produktions- und Lagerkapazität lässt sich für wenige Millionen Aufwand kurzfristig errichten. Und schon nach zehn Jahren sind die Bestände soweit angewachsen, dass man mehr und mehr ältere Whiskys mit Altersangabe für teuer Geld in größeren Stückzahlen verkaufen kann.

Das Problem liegt jedoch im Management der Konzerne begraben. Wenn die Haltbarkeit von Managern auf ihren Führungsposten geringer als die Reifezeit unseres Whisky ist, so muss das prinzipiell daneben gehen. Wer wird sich um einen 20-jährigen Single Malt kümmern, wenn man in drei Jahren vielleicht bereits für den Wodka des Konzerns verantwortlich ist? Den Bonus will man heute. Der Whisky wird aber erst in 20 Jahren einen tollen Verkaufserlös bringen. Und so ist das Hemd wie immer näher als die Jacke.

Alter Single Malt Whisky und moderne Konzerne passen selten zusammen. Es gibt jedoch Ausnahmen. Diese gilt es für uns als Genießer zu finden. Und die Suche nach diesen Flaschen macht riesigen Spaß.

Verkneifen Sie sich die Whisky-Hype und suchen Sie abseits des großen Schlachtenlärms nach den Kleinoden in unserem Sortiment. Es gibt sie noch immer. Oft werden sie aber erst sichtbar, wenn sich die letzten Rauchschwaden der Schlacht verzogen haben.